Von Februar bis Juli 2022 beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klasse unseres AG-Projekts „Fluchtpunkt Saargebiet“ mit der Lebens- und Fluchtgeschichte der Mainzer Brüder Julian und Max Tschornicki. Letzterer wurde am 24. März 1933 in „Schutzhaft“ genommen und ins Konzentrationslager Osthofen (bei Worms) gebracht, von wo er am 3. Juli 1933 fliehen konnte.
Das KZ Osthofen war eines der ersten Konzentrationslager, welches die Nationalsozialisten errichteten. Dazu wurden in Osthofen die Halle und das Gelände einer ehemaligen Papierfabrik genutzt. Offiziell wurde die Schaffung dieses KZs am 1. Mai 1933 angeordnet, allerding bestand das KZ schon seit Anfang März und die ersten Häftlinge wurden schon ab dem 6. März eingeliefert.
Die Mitglieder der AG „Fluchtpunkt Saargebiet“ starteten am 14. Juni 2022 zu einer Besichtigung dieser Stätte. Dabei lernten sie, dass das Ziel dieses frühen Konzentrationslagers darin bestand jegliche politische Opposition auszuschalten und die damalige Bevölkerung durch umfangreiche Presseberichte einzuschüchtern.
Die regionale Presse im ganzen Volksstaat Hessen berichtete ab Mai 1933 in beinahe gleichlautenden Berichten von der Einrichtung des Konzentrationslagers Osthofen. In den kommenden Wochen konnte man fast täglich in den regionalen Blättern lesen, wer aus der Umgebung verhaftet und nach Osthofen gebracht worden war. Die Existenz dieses Lagers blieb somit keinem Zeitgenossen verborgen. Die Zustände dort wurden in den Berichten stark verharmlost. Ihren eigentlichen Zweck, die übrige Bevölkerung abzuschrecken, haben sie in vielen Fällen aber sicher erreicht.
Auch wenn es im Unterschied zu anderen Konzentrationslagern wie Dachau im KZ Osthofen zu keinen Todesfällen kam und die Haftdauer in der Regel zwischen 4 bis 6 Wochen lag, so trugen die Inhaftierten lebenslange Schädigungen (wie z.B. chronische Blasen- und Nierenschäden) von sich, da die hygienischen Verhältnisse sowie die harte Arbeit und Misshandlungen katastrophal waren. Insgesamt waren mindestens 3.000 Menschen in dem KZ inhaftiert.
Alle Schülerinnen und Schüler inklusive den begleitenden Lehrerinnen Frau Berg und Frau Loch waren erstaunt, dass sie bisher kaum etwas über das KZ Osthofen, das sich in unmittelbarer Nähe des Saarlandes befindet, gehört hatten und sind dankbar für die Möglichkeit mit Hilfe des Adolf-Bender-Zentrums und dem AG-Projekt „Fluchtpunkt Saargebiet“ ihr Wissen zu erweitern.
Zur Lebensgeschichte des Bruders von Max, Julian Tschornicki, haben die Teilnehmer der AG zwei Stop-Motion-Filme gestaltet, welche online im Vimeo-Kanal der GemS Freisen abrufbar sind.
Zum Abschluss der AG im Juli beschäftigten sich die Jugendlichen mit aktuellen Fluchtursachen. In einem Rollenspiel z.B., zeichneten sie zunächst ihr Traumhaus, dann klebten sie die-se Bilder auf ein weiteres großes Blatt und fügten Straßen, Parkanlagen und einen Namen ihres Dorfes bzw. ihrer Stadt hinzu. Sie einigten sich auf Regeln und Werte, die ihnen in ihrem fiktiven Wohnort wichtig sind. Dann ereignete sich eine Naturkatastrophe und einige Häuser wurden zerstört, so dass eine Gruppe der Teilnehmer in die Stadt der anderen Gruppe flüchten musste. Nun galt es Regeln für die Aufnahme, Verteilung und das Zusammenleben mit den Geflüchteten auszuhandeln.
Besonders durch solche Rollenspiele (ein anderes, der „Blue Eyed Workshop“ wurde im März durchgeführt) konnten die AG-Teilnehmer erfahren, wie Ausgrenzungsmechanismen wirken und wie schwierig Aushandlungsprozesse sind.
Ein herzliches Dankeschön für diese lehrreiche AG gilt Frau Stephanie Wegener vom Adolf-Bender-Zentrum St. Wendel sowie der Betreuungslehrerin Frau Michaela Loch.
(Helene Berg)